Ein Leben wie kein anderes – vom Chefarzt zum LKW- und Busfahrer

  • Erschienen am 4. März 2016 in Allgemein/Miles von Janina Martig

    Mit 57 Jahren hängt der erfolgreiche Herzchirurg Markus Studer seinen Chefarzt-Kittel an den Nagel um LKW-Fahrer zu werden. “Der tickt nicht mehr richtig”, dachten manche Kollegen. Ich habe diesen interessanten Mann Jahre später auf der IAA Nutzfahrzeugausstellung in Hannover bei einem Gespräch mit Sandra Maischberger kennen gelernt und ihn letzte Woche zu seinem nicht ganz normalen Werdegang interviewt.

    Markus, mit 57 Jahren hast Du dich als LKW-Fahrer selbstständig gemacht. War das eine fixe Idee?

    Nein überhaupt nicht. Ich habe meinen Ausstieg aus dem Herzzentrum frühzeitig geplant. Ich habe meine Kollegen vorgewarnt, meinen LKW-Führerschein gemacht und bin rechtzeitig Berufsverbänden wie Routiers Suisse und ASTAG

    beigetreten. Für mich war immer klar, dass das Leben als Arzt nicht alles gewesen sein konnte. Schließlich drehte sich lange alles ums Spital und vieles kam dabei zu kurz, wie zum Beispiel das Reisen.

    Haben Dich manche Kollegen nicht kritisch beäugt, als Du von Deinen Plänen berichtet hast?

    Ja doch auf jeden Fall. Viele haben mir nicht geglaubt, dass ich das mache. Anfang 2003 habe ich dann mein Ein-Mann-Logistikunternehmen gegründet und mich auf den Transport von flüssigen Lebensmitteln wie Milch, Kakao-Masse und Säften spezialisiert. Ab dem Zeitpunkt wusste ich dann auch, woher der Frühstücks-Orangensaft kam – nämlich von einem Tankschiff aus Brasilien, das in Antwerpen vor Anker lag und nicht etwa aus Spanien oder Italien.

    Wie hast Du Dich auf das Trucker-Leben vorbereitet?

    Bevor ich mich selbstständig gemacht habe, bin ich oft bei einem Kollegen mitgefahren. Der hat mir bereits vor meinem LKW-Führerschein vieles gezeigt. Das war auch wichtig, um zu sehen ob es wirklich so ist, wie ich es mir vorgestellt hatte. Außerdem war die Transport-Branche auch damals schon hart umkämpft. Um mich da klar zu positionieren, bin ich eben in die Nische flüssige Lebensmittel gegangen.

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    Und wie lange hat es ungefähr gebraucht, bis Du alles raus hatten?

    Bei den Prüfungen zur Sattelschlepperlizenz und der EU-Fahrlaubnis, um selbstständig zu arbeiten, habe ich schon viel gelernt. Der Rest kam durch “learning by doing”. Zum Beispiel wie man sich am Rotterdamer Hafen zurecht findet. Obwohl der Hafen riesengroß ist, gibt es ein ganz einfaches und übersichtliches Leitsystem. Nur in Sachen Lebensmittel-Hygiene kam mir mein Vorwissen aus meinem alten Beruf zu Gute.

    Was nimmst Du aus über neun Jahren LKW-Fahren mit?

    Die Einblicke in die Politik der bereisten Länder, in die Weltwirtschaft, sowie in die Gedankenwelt der unterschieldichen Menschen mit denen man arbeitet. Das war das Interessanteste an diesem Beruf. Man ist auf der Straße unterwegs und wenn man Augen und Ohren offen hält, bekommt man stimmungsmäßig sehr viel mit in einem Land. Dass Europa nicht angemessen auf Flüchtlinge reagiert, war ja schon jahrelang am Beispiel von Calais zu sehen.

    Dort spitzt sich die Lage gerade erneut zu.

    Ja richtig. Uns LKW-Fahrer wurde schon vor Jahren geraten, dass man am besten ab 300 Kilometer vor Calais gar nicht mehr anhalten sollte, damit Flüchtlinge nicht ins Chassis klettern und so illegal nach England einreisen können. Das ist nicht nur gefährlich für die Menschen, sondern die Fahrer und die Speditionen müssen dann auch Geldstrafen zahlen. Das sind absolut unwürdige Zustände – für alle Beteiligten.

    War das einer der Gründe warum Du dann auf den Bus umgesattelt haben?

    Nein, mein Wechsel hatte nichts mit dieser Situation zu tun. Als LKW-Fahrer hatte ich schlichtweg nie eine Tour nach Skandinavien. Neuneinhalb Jahre lang nicht. Obwohl es immer ein Kindheitstraum von mir war. Ein Kollege, der früher Reisebus gefahren ist, hat mich dann darauf gebracht, dass ich ja auch als Fahrer für ein Reisebusunternehmen arbeiten könnte. Und das habe ich dann auch für zwei Jahre gemacht. Quer durch Europa bin ich gefahren und endlich auch bis ans Nordkap.

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    Du hast aber auch schon vorher Menschen in Deinem LKW mitfahren lassen, richtig?

    Ja genau. Als Selbstständiger darf man das ja und außerdem hatte ich einen Sattelschlepper mit einer sehr geräumigen Kabine, so dass das nie ein Problem war dort jemanden mitzunehmen.

    Und wie sind die Leute auf Dich aufmerksam geworden?

    Das war eigentlich Mund-zu-Mund Propaganda. Ich hatte dadurch immer jemanden mit dabei, zum Beispiel aus Italien, Österreich, Luxemburg und Frankreich. Viele kamen auch aus meinem Bekanntenkreis. Sie wollten mich auf Tour begleiten und wollten sehen, wie der Warentransport funktioniert.

    Und alle waren begeistert?

    In der Tat. Es gab eigentlich nie Probleme, ich musste niemanden unterwegs am Bahnhof absetzen. Einige Mitfahrer waren sogar Wiederholungstäter, wie zum Beispiel eine über 70 Jahre alte Frau; sie ist sieben Mal mitgefahren. Im Schnitt waren wir dann immer eine Woche unterwegs. Eine Zeit, die ich nicht missen möchte, da es eigentlich immer interessante Gespräche gab.

    Fährst Du heute eigentlich noch?

    Nein, leider nicht mehr. Aus gesundheitlichen Gründen musste ich auch das Busfahren einstellen. Und ich bin ehrlich – es fehlt mir sehr. Mit einem PkW zu fahren ist einfach nicht das Gleiche.

    Aber Du hast schon ein nächste Ziel?

    In der Normandie oder der Bretagne und in Südengland warten wunderschöne Küstenwege auf mich und meine Frau. Über 700 Kilometer bin ich in der letzten Zeit schon gewandert. Aber natürlich haben wir noch nicht alles gesehen.

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    Markus Studer und ich bei einer Talk-Runde der 62. IAA Nutzfahrzeugausstellung in Hannover

    quelle: http://www.miles-styles.com/vom-chefarzt-z…-und-busfahrer/

    Warum nach den Sternen greifen, wenn man einen fahren kann.

    Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muß man sich verdienen.

    Die Tochter des Neides ist die Verleumdung.


  • Markus, mit 57 Jahren hast Du dich als LKW-Fahrer selbstständig gemacht. War das eine fixe Idee?

    Ja doch auf jeden Fall. Viele haben mir nicht geglaubt, dass ich das mache. Anfang 2003 habe ich dann mein Ein-Mann-Logistikunternehmen gegründet und mich auf den Transport von flüssigen Lebensmitteln wie Milch, Kakao-Masse und Säften spezialisiert. Ab dem Zeitpunkt wusste ich dann auch, woher der Frühstücks-Orangensaft kam – nämlich von einem Tankschiff aus Brasilien, das in Antwerpen vor Anker lag und nicht etwa aus Spanien oder Italien.

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    Dass er so schwärmerische Erinnerungen hegt, kommt nicht zuletzt auch daher, dass er keine Plane oder Kühler gefahren ist, sondern Tanksattelzüge im Fernverkehr. :think: Es handelt sich dabei mit Sicherheit um einen der schönsten und interessantesten Fahrerjobs - kennt ihr ja von meinem Fahrtenbuch :!:

  • Ich muß jetzt auch mal was zu dem Herr Doktor sagen....
    I mog eam net....
    Wie der gute Herr in div. Fachzeitschriften vor Jahren bekannt wurde, hat er sich in einen seiner ersten Interviews echauffiert, dass am Rastplatz kein Zusammenhalt mehr herrscht.
    Fahrer kommenan, gehen alleine essen, duschen, ziehen die Vorhänge zu & schlafen...
    Ein paar Wochen nachdem ich diesen Arikel gelesen habe, erblickte ich seinen (damaligen) Lkw am Autohof Schlüsselfeld auf der A3 und ihn ein paar Minuten später im Restaurant.
    Ich stellte mich vor, und fragte (in meiner Naivität) ob ich mich beim essen zu ihm setzen darf zum gemeinsamen zeitvertreib.
    Die Antwort als "ruppig" zu betiteln wäre in diesem Fall noch eine zu schöne Betitelung...
    Er hat mir klargemacht, dass er seine heilige Ruhe haben will...
    Aber in den Fachzeitschriften jammern, dass unter den Fahrern keine Kommunikation und Zusammenhalt herrscht...
    Tja...was soll ich dazu sagen....bzw. ich wüßte schon etwas dazu..aber die mir angelernte Höflichkeit und Respekt Älteren gegenüber, spar ich mir das jetzt lieber ;)
    Wie gesagt...I mog eam net....

  • :sironie: der hod sicher gmand, unter de germanen. ned das do so a össi kummt und red mi von der seitn on.der wü villeicht an nu a ontwurt auf seine frogn. :spassbremse:

    mei bier is ned deppat! :beer:

  • :sironie: der hod sicher gmand, unter de germanen. ned das do so a össi kummt und red mi von der seitn on.der wü villeicht an nu a ontwurt auf seine frogn. :spassbremse:

    ja ich kenn dass, die Schweizer :schweiz: bleiben halt gerne unter sich :!: Und wenn ich mich so erinnere, :think: gibt´s auch genug Fahrer bei uns die eher gleichaltrige Kollegen an den Tisch lassen...leider. :/

  • 60 Jahre hinterm Steuer:!:

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    Das Haus ist längst gebaut, die Kinder sind versorgt, in der Garage steht ein hübscher Mercedes: Nein, wegen des Geldes brauche ich gewiss nicht mehr zu fahren, sagt Tonnie van der Meijden noch 2004 – da ist er 74 Jahre alt – mit leisem Lächeln. Trotzdem kann er bis zu seinem 77. Jahr die Finger vom Lenkrad nicht lassen und fährt insgesamt rund 60 Jahre lang Lkw. Die Straßen Europas hat er im Kopf wie ein Dirigent seine Partitur. :thumbup:

    Pilot wollte er werden. Doch wurde daraus nichts. ;) Ein kleiner, harmloser Herzfehler ließ den Traum platzen. Fast 60 Jahre später erst musste Tonnie dann deswegen tatsächlich unters Messer.:whistling: Das war vor gar nicht allzu langer Zeit, und seitdem erst sind auch die Zigaretten tabu:^^Da habe ich aber immer noch große Lust darauf“, sagt der vielfache Kilometermillionär – und schiebt sich stattdessen wieder mal ein Bonbon zwischen die Zähne.

    Mit 17 Jahren, blutjung, hat er zwar keinen Führerschein, aber bereits eine Woche nach Kriegsende anno 1945 seinen ersten Lkw: Milch fährt er mit einem eindrucksvollen vierachsigen Atkinson mit Reihenachtzylinder, der damals schon die stolze Summe von 100.000 Gulden gekostet hatte. Den vorigen Fahrer hatten englische Jagdflieger während der letzten Kriegstage vom Flugzeug aus erschossen.X/

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    20 Abladestellen pro Tag.:huh:

    Als die Anzahl der Abladestellen pro Tour auf die 20 zugeht, beschließt Tonnie aufzuhören. Seinem Nachfolger, einem schmächtigen Bürschchen, sagt er noch: „Wenn ich das nicht schaffe, dann schaffst du das auch nicht.“ Die Sache geht prompt schief: „Sechs Wochen später“, erinnert sich van der Meijden, „hat er sich totgefahren.“

    Es folgen viele Lkw der verschiedensten Marken in den wilden Jahren nach dem Krieg. Ein Dodge ist darunter, mit dem er für eine Glasfabrik gefahren und viel in Westeuropa herumgekommen ist. Auch ein GMC, den sein Arbeitgeber des horrenden Spritverbrauchs wegen bald von Benzinmotor auf einen Perkins umrüstet:huh:. Auch Bus fährt der Mann aus Leerdam eine Weile. Da ist der Arbeitgeber allerdings das holländische Militär, bei dem Tonnie van der Meijden ein paar Jahre dient. In ferne Länder wie Indonesien, Java oder Pakistan führt ihn diese Zeit zwischen 1947 und 1950.

    Vom Bus beim Militär steigt Tonnie auf einen zivilen Mack in Holland um. „Habe ich mit dem Busfahren 46,25 Gulden im Monat verdient“, beschreibt Tonnie den Karrieresprung. „so waren’s mit dem Mack bei der Spedition plötzlich 125 Gulden.“ Und weiter: Ich weiß heute noch, wie stolz ich damals mit dem Fahrrad nach Hause gefahren bin.“

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    Auf den Mack folgt bald ein Krupp, mit dem Tonnie regelmäßig Bauchspeck in Dachau lädt und der sein letzter Lkw unter holländischer Flagge werden soll. Seine Tour führt ihn nach Ochsenhausen, wo er im „Adler“ eine gewisse Hildegard kennen lernt, die ihm schwer imponiert. Wenig später sind die beiden verheiratet. Und Tonnie wohnt nicht mehr im fernen Holland, sondern in Ochsenhausen.

    Häuslichen Arbeiten eher abgeneigt:!:

    Verheiratet ist er natürlich damals wie heute auch mit seinen Lkw. Doch schert das seine Hilde nicht. Die baut ein Haus und zieht vier Kinder groß, während Tonnie wochenlang unterwegs ist. Raufereien geht der kräftige Holländer auch in der neuen Heimat Ochsenhausen nicht aus dem Weg, wenn es die lokalen Größen dem Reingeschmeckten, wie man in Schwaben sagt, mal zeigen wollen. „Ich wurde aber jedes Mal freigesprochen“, beschreibt er die gerichtliche Würdigung. Das häusliche Arbeiten indes liegt ihm weniger: „Wenn ich wusste, dass gerade Estrich legen oder so etwas anstand“, räumt er verschmitzt ein, „ dann bin ich das Wochenende lieber draußen geblieben und habe mich zu Hause nicht blicken lassen.

    Bis Bagdad kommt er mit dem Lkw, in Athen ist er insgesamt „wohl an die 1000 Mal“ zu Gast, den Autoput kennt er wie seine Westentasche. Oft fährt er auch in den Ostblock, vornehmlich die Tschechoslowakei: „Mit der Mark waren wir dort Könige“, beschreibt Tonnie die Verhältnisse zu Zeiten des Eisernen Vorhangs.

    Sesshaftes Leben schafft Unmut:!:

    Mehr als 20 Jahre arbeitet Tonnie van der Meijden schließlich bei der Spedition Hindelang in Wörnitz. Altershalber soll er zwischendurch mal aufhören. Doch bekommt dem 65-jährigen Tonnie van der Meijden das sesshafte Leben schlecht. Bei der Gartenarbeit kann er Unkraut von den anderen Pflanzen nicht unterscheiden und liefert entsprechend fatale Ergebnisse. Am Ende ist seine Hilde so sauer, wie sie sonst nur dann ist, wenn Tonnie sich – das passiert alle paar Jahre – mal wieder einen sündhaft teuren neuen Mercedes-Benz Pkw kauft. Auch sie fackelt nicht lange und ruft flugs bei Hindelang an, wo Tonnie fortan wieder besser aufgehoben ist.

    Selbst als Mittsiebziger ist er immer noch oft sechs bis acht Wochen am Stück unterwegs.:huh: Das ist dem Hausfrieden weitaus zuträglicher als das Absitzen der Tage innerhalb der eigenen vier Wände.:P Nur wenn er an der Grenze das Geburtsdatum in die Formulare schreibt, dann stapelt Tonnie tief und macht sich zehn Jahre jünger. 8oDonnerwetter“, hat daraufhin ein naseweiser Grenzer mal zu ihm gesagt, „für Ihre 64 Jahre haben Sie sich aber gut gehalten.“ ^^


    Das Herz gehört der Straße:!:

    Mittlerweile aber nolens volens im Ruhestand, sagt Tonnie rückblickend: Mein Herz gehört immer noch der Straße,:thumbup: und hofft, sich eines Tages doch noch einen großen Traum zu verwirklichen: Einmal in Kanada von Küste zu Küste fahren, sagt er, „das würde ich gern noch tun.“ :thumbup:


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