Mit dem Lkw von Tibbitt nach Contwoyto
Kanada, der Zauber des Nordens
Detlef Rüdiger hat sich einen Traum erfüllt. Sein Arbeitsplatz sind die berühmten Ice Roads in der kanadischen Wildnis.
Minus 38 Grad Celsius. Das meldet zumindest die
Außentemperaturanzeige. In der Kabine des Kenworth ist es hingegen
mollig warm. Am Lenkrad sitzt Detlef Rüdiger, 52, aus dem thüringischen
Bocka. Mit zusammengekniffenen Augen peilt er über die lange Motorhaube
des T 800.
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Bald wird die Sonne hinter dem Horizont verschwunden sein. In Winter
Nordkanadas ist sie ohnehin nur wenige Stunden zu sehen. Jetzt lässt sie
die komplett aus Eis bestehende Piste noch einmal golden schimmern.
Während in Europa bei vereisten Straßen sofort das Chaos ausbricht,
macht das gefrorene Nass hier in den Northwest Territories den Verkehr
erst möglich. Wenn Ende Januar die Seen zufrieren und das Eis mindestens
75 Zentimeter dick ist, rücken die Trucks aus. Über 23 Meter lang und
bis zu 64 Tonnen schwer.
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Zahlreiche Diamantenminen brauchen Treibstoff, Nahrungsmittel oder
Maschinenteile. Sie betreiben daher gemeinsam eine Ice Road mit dem
schönen Namen Tibbitt to Contwoyto. Sie ist rund 600 Kilometer lang und
führt zu 87 Prozent über zugefrorene Seen. Den Rest bilden 65
„Portages“. Nur auf diesen kurzen Überlandverbindungen haben die Trucks
festen Boden unter den Rädern, natürlich ist dieser ebenfalls dick
vereist.
Je dicker das Eis, desto schwerer die Ladung
Detlef bringt mit jeder Tour bis zu 50.000 Liter Diesel in die
Außenposten der Zivilisation. Zu Beginn der Saison hat er jedoch
höchstens 12.000 Liter im Tank. Erst mit zunehmender Eisdicke darf auch
die Zuladung schwerer werden.
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„Schon im Juli fangen wir an, den Sprit von Edmonton nach Yellowknife
zu fahren“, erzählt Detlef. Am Great Slave Lake ist der Startpunkt der
Ice Road und bis zum Saisonbeginn werden hier 40 Millionen Liter
gebunkert. Sobald das Eis auf den zigtausend Seen tragfähig wird, rollen
die Trucks über den Ingraham Trail zum Check Point nach Meadows.
„Das ist fast der gefährlichste Teil der Strecke“, sagt Detlef. „Weil
es hier noch über Land geht, ist die Piste ziemlich kurvig und bergig.
Da fliegen doch einige ab.“ Nach der Anmeldung am Container in Meadows
fahren im Abstand von 20 Minuten vier Trucks los, mindestens aber zwei.
Ein technischer Defekt oder sonstige Missgeschicke können bei diesen
Temperaturen schnell dramatische Folgen haben. Sichtkontakt, aber mit
rund 500 Meter Abstand, ist angesagt. Denn nicht nur die Kälte ist
streng, auch die Verkehrsregeln sind es. Beladen auf dem Eis gilt das
Tempolimit eines deutschen Mofas: 25 km/h.
Wer schneller fährt und sich erwischen lässt, muss mit dem Entzug der
Zugangsberechtigung für die Ice Road rechnen. Damit wären die tollen
Verdienstmöglichkeiten sofort weggeblasen. Mit Zuschlägen verdienen die
Fahrer bei Ventures West bis zu 30 kanadische Dollar und mehr pro
Stunde. Und davon kommen viele zusammen.
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Schlaglöcher mit Wasser ausbessern
Bis das Eis im April irgendwann zu dünn wird, halten die
Ice-Road-Fahrer praktisch nur zum Schlafen und zum Essen an. Erlaubt
sind 15 Stunden Fahren am Tag, wenn acht Stunden Ruhezeit eingehalten
werden. Auf dem „Wasser“ muss jedoch niemand anhalten. Es empfiehlt sich
auch nicht. Den Motor kann man nicht abschalten und im Stand können die
Vibrationen und die Abwärme dem Eis zusetzen.
Leer geht es mit Tempo 60 übers Eis, doch in den Übergangszonen
zwischen See und den kurzen Landstrecken gelten 10 km/h. „Hier machst du
schon im Eigeninteresse langsam“, sagt Rüdiger. Doch wenn es dann
gleich eine total vereiste Uferstraße hochgeht, kann es trotz der
traktionsstarken Winterreifen kniffelig werden.
Immerhin betreiben die Minen einen 24-Stunden-Service auf der Piste.
Dazu gehört auch der Straßendienst. Schlaglöcher bessern die Männer aus,
indem sie einfach eine Pumpe durchs Eis treiben und das hochkommende
Wasser an der Oberfläche festfrieren lassen. Der Diesel brummt bei
niedriger Drehzahl zufrieden übers Eis, der Lastzug vom Typ Super B
läuft stoisch geradeaus.
Von Meadows bis zum Camp Lockhart braucht Detlef gut sieben Stunden.
Die Versorgungsstation liegt auf einer Insel. Bevor er sie anläuft,
meldet er sich über VHF-Band an. Im Truckstop ist das Essen und Trinken
kostenlos, auch Lunchpakete für unterwegs kann er sich mitnehmen. „Du
musst dich eigentlich um nichts kümmern, wenn du auf dem Eis bist.“
Interessante Tiere und schöne Landschaft
Detlef hatte in den 80er-Jahren auf einem IFA W 50 das Lkw-Fahren
gelernt und ist dem Job auch nach der Wende treu geblieben. Aber statt
mit Kühlgut durch das vereinte Deutschland, wollte er lieber durch die
grandiose Natur Kanadas fahren.
„Ich sehe hier immer wieder interessante Tiere und die ganze
Landschaft finde ich einfach unheimlich schön“, begeistert er sich auch
noch in seiner siebten Saison hier. Nach einem Kanada-Urlaub 1998 hatte
er den Beschluss gefasst. Er fing an, Englisch-CDs im Lkw zu hören und
stellte Anträge beim kanadischen Konsulat.
Es klappte zwar erst im zweiten Anlauf, „aber als die E-Mail von der
Spedition kam, war das wie ein Sechser im Lotto für mich“. Längst haben
auch seine Frau Carmen und die beiden Töchter Yvonne und Dominique den
Sprung über den großen Teich gewagt. Und sie möchten auf gar keinen Fall
wieder zurück.
Zwar dauern auch Detlefs Sommertouren nach Alberta oder Saskatchewan
bis zu sechs oder zehn Wochen, doch dazwischen hat er mindestens 14 Tage
Urlaub. „Das passt schon so ins Familienkonzept“, meint er.
Und was ist mit der Gefahr auf dem Eis? „Ja, auch ich bin schon am
Ende der Saison durchs Wasser gefahren, trotz des hohen
Sicherheitsstandards.“ Nun freut er sich auf den nächsten Truck.
„550-PS-Cummins und 72-Inch-Sleeper mit Hochdach.“ Denn das ist die
erste Saison im eigenen T 800.
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